Etappe 3 - Tag 1-3 | 18.-20.08.2020

Wiesbaden bis Köln

Von Hochschule Rhein Main am 31.08.2020

Staffelübergabe und Auftaktveranstaltung am Landeshaus Wiesbaden

Nachdem die Hochschulen aus Frankfurt und Karlsruhe bereits vorgelegt hatten, schwangen auch wir uns am Startpunkt in Wiesbaden-Biebrich erstmals gemeinsam auf unsere Sättel und fuhren entlang der Biebricher Straße unter dem dunklen und wolkenverhangenen Himmel gen Landeshaus. Gute Laune war trotzdem sämtlichen Teilnehmenden anzumerken, da an diesem Tag die Übergabe des Staffelstabs aus Frankfurt auf uns warten sollte, damit wir in der anschließenden Woche unseren langersehnten Abschnitt der Hochschulradtour durch das RheinMain-Gebiet starten konnten.

Am Landeshaus in Wiesbaden, wo die Übergabe des Staffelstabs stattfinden sollte, wurde dann deutlich, wie viele spannende neue Akteure sich unter der neuen BMVI-Stiftungsprofessur versammelt haben und wie viel Motivation, aber auch Erwartung, damit verbunden ist. Wir trafen hier auf die Delegation der Frankfurter Hochschule of Applied Sciences, sowie politische und kommunale Vertreter aus dem Bereich des Radverkehrs. Die neue Professur und deren Mitarbeiter zeichnet sich schon jetzt durch ein interdisziplinäres Kollegium mit unterschiedlichen akademischen Hintergründen aus, was immer wieder während der Tour zu interessanten Austauschen führte. Was aber ebenfalls deutlich machte: spezifisch ausgebildetes Fachpersonal für den Bereich der Radverkehrsförderung gibt es noch sehr wenig.

Damit dieses Problem adressiert wird, werden in einem kooperativen, regionalen Lehrkonzept  mit der Frankfurter University of Applied Sciences durch die Vertretungsprofessorin  Martina Lohmeier erste Konzepte für ihre zwei anstehenden Lehrveranstaltungen im anstehenden Wintersemester vorbereitet, in denen Sie den Studierenden Grundlagen, auch der Radverkehrsplanung, im Entwurf vertiefen wird. Damit auch in naher Zukunft die Nachfrage nach FachplanerInnen im Bereich der nachhaltigen Mobilität gedeckt werden kann, plant die Hochschule RheinMain ebenfalls die baldige Einführung eines neuen Masterstudiengangs, der auch nach Abschluss des Bachelors Mobilitätsmanagement studiert werden kann! Also haltet die Ohren und Augen auf liebe MoMa-Absolventen…

Doch nicht nur die Hochschulbeteiligten kamen bei der Staffelübergabe zu Wort. Auch Jens Deutschendorf, der Staatssekretär des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen (HMWEVW), zeigte sich zuversichtlich, dass die neuen Professuren ein wichtiger Schlüssel sind, um bestehende und kommende Herausforderungen im Bereich des Radverkehrs zu meistern und den vielfältigen Anforderungen, die eine Förderung und Stärkung der Radfahrenden mit sich bringt, zu begegnen. Der Wiesbadener Stadtrat für Verkehr und Umwelt, Andreas Kowol und Brit Scherer vom Dezernat für Umwelt, Grünflächen und Verkehr zeigten uns im Anschluss direkt vor-Ort wie es gehen kann: die Umweltspur in Wiesbaden hat seit der Eröffnung im Mai 2020 den Radverkehr auf dem 1. Ring deutlich verbessert – jedoch auch für Kontroversen gesorgt.

Tag 1 | 18.08.2020: Radverkehrsförderung ist mehr als reine Infrastrukturplanung

Hätte die Kritik an der Umweltspur abgemindert werden können, wenn die Kommunikation zwischen Planenden und Nutzenden neue Wege gehen würde? Bei Scholz&Volkmer, einer Kreativagentur für digitale Markenführung, die sich auch mit Fragen der digitalen Vermarktung von Mobilitätslösungen beschäftigt, wird die (digitale) Kommunikation eindeutig als Schlüsselelement eines nachhaltigen Wandels im Verhalten der Verkehrsteilnehmer betrachtet, der häufig in der kommunalen Anwendung und Planung unterrepräsentiert ist und häufig ungenutzt bleibt – auch wenn bereits Optionen bestehen. Mit der Radwende-App machte Scholz&Volkmer es vor: gefahrene Kilometer können hier als Währung den nächsten Stopp auf der Radtour versüßen, wenn das nächste Stück Apfelkuchen quasi kostenlos gegen die aufgebrachte Muskelkraft getauscht wird und zusätzlich durch die teilnehmenden Kommunen Maßnahmen zur Radverkehrsförderung umgesetzt werden. So kann Verkehrswende und insbesondere Radverkehrsförderung auch gehen – und wie es weiter geht im Bereich der Entwicklung von Maßnahmen zur Radverkehrsförderung könnte bald auch in kooperativen Workshops mit S&V im Rahmen des Studiums an der HSRM gemeinsam erarbeitet werden. Die Planungen laufen bereits. Doch auch Michael Volkmer macht klar: Ohne infrastrukturelle Maßnahmen für den Radverkehr geht es nicht.

Nach diesem ersten spannenden Stopp ging es zurück auf die Räder, in den Wiesbadener Stadtverkehr und raus aus der Stadt in Richtung Ginsheim-Gustavsburg („GiGu“). Auf der gut einstündigen Etappe am Rhein war die Sonne noch auf unserer Seite und motivierte umso mehr. Als wir in GiGu dann auf das engagierte und mit Snacks gerüstete Mobilitätsteam der Stadt trafen war die Freude dann noch größer. Andreas Hummel, Nicole von der Au und Mathias Richter berichteten von Herausforderungen für Kleinstädte und wussten dennoch auch die schönen Aspekte der kommunalen Arbeit zu betonen. Das pragmatische Team ist seit einiger Zeit administrativ geeint und hat einige Erfolge im Bereich der Radverkehrsförderung vorzuweisen. Durch direkte Beratung und Ansprache etwa hat das Team nicht nur einige Bauträger dazu bringen können auf Stellplätze zu verzichten – und damit den eigenen finanziellen Spielraum und den Stellplatzdruck für den MIV erhöht. Zudem lebt das Team, was es predigt: das elektrische Lastenrad ersetzt einen PKW im Fuhrpark und die meisten Pendlerfahrten zur Arbeit wird das Team vom Rad getragen. Weiter so Team GiGu!

Aber auch die Stadt an Rhein und Main steht vor einigen Herausforderungen. Das Team erklärte uns, welche Bedeutung die gängige Förderungspolitik für kommunale Akteure aufweist und was für ein administrativer Aufwand mit der Ausstellung von Förderanträgen, insbesondere für kleine Kommunen, verbunden ist. Abhilfe könnte hier die Ermöglichung von ad-hoc Förderungen schaffen, damit zukünftige, kommunale Projekte zügiger anlaufen können. Eine konkrete bauliche Problematik stellte uns das Team Mobilität bei einer am Rheindamm gelegenen Radroute vor, die häufig Konflikte von Rennradfahrenden und Anwohnenden generiert. Die Harmonisierung dieser Verkehre stellte insofern eine Herausforderung für die Planenden dar, als unterschiedliche Nutzungen und Verkehrsgeschwindigkeiten hier auf einem verengten Raum aufeinandertreffen. Eine Verbesserung könnte eventuell durch effektivere Markierungen oder die gezielte Leitung von Radfahrenden über eine Radrouten-Priorisierung konfliktfreier Varianten auf digitalen Plattformen (beispielweise auf Komoot oder STRAVA) erzeugt werden. Eigentlich ein spannendes Forschungsthema für eine Bachelorarbeit…  

Im Anschluss an den Stopp in GiGu stand der (körperlich) anspruchsvollste Teil der Radtour an: 40 Kilometer Strecke in gut zwei Stunden bei satter Sonne. Doch je näher wir Darmstadt kamen, desto mehr und mehr Wolken bedeckten den Himmel. Bis uns nach gut eineinhalb Stunden, kurz vor Darmstadt bei Griesheim, ein Starkregen kalt erwischte. Die ungewollte Erfrischung konnte uns dennoch nicht aufhalten und so kamen wir, wenn auch etwas verschmutzt durch wassergesättigte Waldwege, etwas verspätet am frühen Abend in Darmstadt an und wurden verständnisvoll begrüßt. Und bekamen sogar von dem Mobilitätsexperten und -analyst Thorsten Friedrich in der quartierseigenen Mobilitätszentrale der Lincoln-Siedlung ein handliches Regencape geschenkt – leider etwas zu spät. Danke trotzdem!

In der Lincoln-Siedlung erwarteten uns Thorsten Friedrich von der HEAG mobilo und Martina Reece als Vertreterin der Abteilung Nahmobilität des Mobilitätsamtes Wissenschaftsstadt Darmstadt. Das Quartier fördert durch integrierte städtebauliche Planung und systematisches Mobilitätsmanagement, z.B. durch eine individuelle Mobilitätsberatung, eine autoreduzierte Mobilität und ist dabei sehr erfolgreich! Durch individuelle Beratungsgespräche können sich interessierte Bewohner der Siedlung informieren und werden dabei als Teil der Lösung und nicht des Problems verstanden. Der Ansatz fruchtet, denn die Quartiersgarage in einem Baufeld der Siedlung ist mittlerweile nur noch zu 30% belegt. Durch verschiedene quartiersnahe Sharing-Konzepte können Anwohner nahezu ohne Einschränkungen auf den eigenen Pkw verzichten. Ein wirklich tolles Konzept!

Nach dem kurzen Rundgang durch das Quartier erwartete uns bereits der Radverkehrsbeauftrage Peter Rossteutscher der Stadt Darmstadt, der uns auf eine kleine Rundtour durch die Stadt einlud. Wir passierten einige Konfliktbereiche der Stadt, erfuhren jedoch auch, wie viel sich in der Stadt bereits verändert hat! Erst kurz vor unserem Besuch wurde in den Zentralstadt eine Fahrspur des MIV umgewandelt und ergänzt nun als geschützte Teilstrecke für den Radverkehr die Verbindung zwischen Bahnhof und Innenstadt. Der Radverkehrsbeauftragte ist optimistisch, dass die radverkehrsfördernden Maßnahmen der letzten Zeit gut ankommen und die Bevölkerung weiter ist als von Skeptikern angenommen. Und wir sind es auch!

Und so endete der erste schöne und aufschlussreiche Tag für uns in der Abendsonne am Darmstädter Bahnhof und legten die letzte Etappe nach Wiesbaden ausnahmsweise mit dem Zug zurück, in zufriedener Erschöpfung und gespannter Erwartung auf die nächste, spannende Tagestour am Mittwoch. Auch wenn die Tour an diesem sonnigen Tag seine ersten Spuren auf den geröteten Gesichtern einiger Radfahrer hinterlassen hatte.

Tag 2 | 19.08.2020: Radfahren macht Spaß – wenn es die Infrastruktur ermöglicht

Die zweite Tagestour startete bei bestem Wetter am Bahnhof in Oberursel und wir wurden von engagierten Repräsentanten der Mittelstadt empfangen. Das städtebaulich attraktive und aufgewertete Bahnhofsareal zeigte laut Stadtrat Christof Fink eindeutig, was der infrastrukturelle Ausbau bewirken kann. Die überdachten, gut einsehbaren und stark frequentierten Stellplatzanlagen zeigen diesen Zusammenhang eindrücklich. Das vorhandene Infrastruktur für Radfahrer auch genutzt wird, wenn Sie denn da ist, zeigt auch das nur etwa 300 Meter lange aber vier Meter breite Teilstück eines asphaltierten Radweges, der in Zukunft auch weiterhin ausgebaut werden soll. Insbesondere die Verkehrssicherheit für Rad fahrende SchülerInnern konnte in den Stoßzeiten damit seit dessen Einweihung deutlich erhöht und Gefahrenpotentiale an der Gleisquerung abgemildert wurden, so Uli Molter und Sandra Portella von der städtischen Verkehrsplanung. Der Frage, wie einerseits Ängste genommen werden können und andererseits der Mehrwert besser vermitteltet werden kann, geht die Stadt Oberursel aktuell aktiv und in Kooperation mit der Hochschule RheinMain nach. Dazu wurde die neue Plattform für integrierte Mobilität in Oberursel (kurz: Pimoo) ins Leben gerufen, die als umfangreiches Bürgerbeteiligungsverfahren versucht partizipativ Visionen und strategische Ziele für das Oberurseler Verkehrssystem zu erarbeiten.

Nach einer kurzen Pause beim Bäcker und ein bis zwei Snacks pro Person ging es weiter in Richtung Kriftel, wo wir in der Liegerad-Manufaktur HP Velotechnik, obwohl deutlich verspätet, herzlich empfangen wurden. Unsere technische Navigationshilfe hatte uns unterwegs stellenweise im Stich gelassen und die hohen Temperaturen unser Tempo reduziert. Der Ausfall machte der Technik machte auch deutlich: eine flächendeckende Beschilderung und nutzerfreundliche Radwegenetze sind alles andere als die Regel. Doch angekommen bei HP Velotechnik wurden die Strapazen des Hinwegs sofort zerstreut und waren vergessen, nachdem uns Daniel Pulvermüller, einer der Begründer des Unternehmens, sowie der Pressesprecher Alexander Kraft eine Probefahrt auf den äußerst komfortablen, windigen und dreirädrigen Fahrrädern eine Spritztour auf dem Firmengelände drehen ließen. Ursprünglich in den frühen 90er Jahren als Synthese der besten Eigenschaften von Rad und Auto konzipiert, zeigen die Modelle auch heute noch anschaulich, wie der Radverkehr auch in Zukunft Mobilitätslösungen für sämtliche Mobilitätsbedürfnisse abbilden können, wenn die infrastrukturelle Rahmenbedingungen die Nutzung von entsprechenden Fahrzeugen zulassen. Wir konnten hier deutlich feststellen: so vielseitig kann das Radfahren sein.

Das Radfahren Spaß machen kann konnten wir am nächsten Stopp in Kelsterbach am eigenen Leibe erfahren. Hier trafen wir auf die Firma Sigo, vorgestellt durch den CEO des Unternehmens, Tobias Lochen, der uns die gerade erst neu installierte Mobilitätstation stolz präsentierte. Hier können die Quartiersbewohner der Liegenschaft der Nassauisches Heimstätte, vertreten durch Herrn Tobias Bundschuh, seit neuestem elektrifizierte Lastenräder ausleihen, die gegen einen geringen Obolus eine Fahrt mit dem Pkw problemlos ersetzen können. Und die ebenfalls Spaß machen! Nachdem einige kleine und große Kinder gesehen hatten, wie viel Spaß man mit den elektrischen Rädern haben kann, war der Andrang groß und Tobias Lochen damit beschäftigt Kinder in das Lastenrad ein- und auszuladen und Spritztouren zu machen – sichtlich ebenfalls amüsiert. Doch noch sind derartige Kooperationen zwischen Wohnungsgesellschaften und Mobilitätsdienstleistern eher selten vertreten und abhängig von den Geschäftsmodellen der Wohnraumanbietenden. Tobias Lochen ist sich dennoch sicher: das Modell hat Zukunft und elektrifizierte Lastenräder im Sharing-Betrieb werden in naher Zukunft sich weiter etablieren und insbesondere in Ballungszentren eine attraktive Mobilitätslösung darstellen, für deren Anwendung die gesetzlichen Weichen gestellt werden müssen.

Mit ein paar Erfrischungsgetränken am Kelsterbacher Mainufer endete dann auch unsere zweite Tour durch das Rhein-Main-Gebiet, da der folgende Tag für einige der Beteiligten eine besondere Herausforderung werden sollte.

Tag 3 | 20.08.2020: Zweitausend Höhenmeter, zweihundert Kilometer, zwei Reifenpannen und eine Vollsperrung

Zu viert, in Person von Prof. André Bruns, Prof. Matthias Kowald, die neue wissenschaftlicher Mitarbeiterin der Radverkehrsprofessur Christine Pautzke und Prof. Jochen Eckart von der Hochschule Karlsruhe, ging es nämlich am Folgetag auf große Tour. Gestartet im Oberrheingraben, über den Taunuskamm, hinein ins Rheinische Schiefergebirge, in die Niederrheinischen Bucht und damit in Richtung Köln überwanden die vier Radler gut 2.000 Höhenmetern, legten knapp 200 Kilometer zurück und konnten auch durch eine Vollsperrung und zwei Reifenpannen nicht aufgehalten werden (den örtlichen Fahrradhändlern in Nastätten und Lahnstein an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön). Und am nächsten Tag ging es dann direkt weiter! 

 Fotos von: Fabian Kanisius 

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